Jeong-ak – Tönende Philosophie

Jeong-ak – Tönende Philosophie / National Gugak Center Deutschland Tour

Gelehrtenmusik und intime Gesänge aus dem alten Korea

Hamburg

Dienstag, 20. März 2018, 19.30 Uhr

1. Konzert: Instrumentalsuite Yeongsanhoesang / Gesänge Sijo

Mittwoch, 21. März 2018, 19.30 Uhr

2. Konzert: Gesänge Gasa /  Liederzyklus Gagok

Eintritt frei. Anmeldung erforderlich unter: http://bit.ly/2018-Gugak-Anmeldung

Forum, Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Harvestehuder Weg 12, 20148 Hamburg

München

Samstag, 24. März 2018, 19.00 Uhr

Instrumentalsuite Yeongsanhoesang / Gesänge Gasa & Sijo / Gagok
Einführung 18 Uhr mit Matthias R. Entreß

Bayerischer Rundfunk, Studio 2, Rundfunkplatz 1, 80335 München

Tickets 18.-/14.-/ erm. 8,-
Reservierung unter www.BRticket.de 0800-59 00 594 (national, gebührenfrei)

Das Konzert wird mitgeschnitten und am 15. April auf BR-KLASSIK gesendet: "Musik der Welt", 23.05 Uhr

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Die musikalischen Kronjuwelen Koreas, eine Kosmologie in Tönen.
Jeong-ak heißt wörtlich „Regelgerechte Musik“ und bezeichnet die über Jahrhunderte von Musikern und Philosophen optimierten Werke, die die Ideale des Konfuzianismus zu Klang werden lassen. Für uns Heutige ist es ein Abenteuer des Hörens, einzutauchen in die langsamen Verästelungen der Klänge fremder Instrumente. 

Während in der Minsog-ak, der Musik der Bürger, der Rhythmus vom Herzschlag bestimmt wird, ist es in der Jeong-ak der Atem, der das Tempo vorgibt. Die vornehme Gesinnung der Bildungsschicht im Korea der Joseon-Ära (1392-1910), die Mäßigung des Gemüts und das konfuzianische Verständnis für die Einheit zwischen Mensch, Gesellschaft und Natur spiegeln sich in der sensiblen Klangwelt der koreanischen Klassik wider.
Die Basis dieser Musik ist schriftlich fixiert, jedoch sind die komplexe Verzierung, Phrasierung und subtile Klanggestaltung Gegenstände mündlicher Überlieferung – sie müssen intuitiv beherrscht werden, um meisterhaft gespielt zu werden. So wird künstlerische Erfahrung aus Jahrhunderten gegenwärtig.

Die Silbe „Jeong“ [ʒɔŋ] steht gleichermaßen für „Richtigkeit“ und „tiefes Gefühl“. Unsere Konzerte präsentieren zwei Aspekte der Musik der Aristokratie im Korea der Joseon-Zeit (1392-1910): Zuerst die repräsentative philosophische Instrumentalmusik Hyeonak Yeongsanhoesang für das Pungryu-Ensemble, das aus den Wölbbrettzithern Gayageum und Geomun’go, der Oboe Piri, der Querflöte Daegeum, der Spießgeige Haegeum, der Längsflöte Danso, dem Hackbrett Yanggeum sowie der Sanduhrtrommel Janggu besteht. Sie entfalten ein durchsichtiges Geflecht von Verzierungen der zumeist langsamen Melodien.

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Eine Welt- und Zeitreise des Hörens.

Simultane Textprojektion auf deutsch.

  • Yeongsanghoesang

    Die Keimzelle der klassischen koreanischen Ensemblesuite Yeongsanghoesang war ein Ensemble-begleiteter buddhistischer Gesang Yongsan hoesang pulbosal (Buddha lehrte auf dem heiligen Felsen), eines der ersten Stücke, die im Rahmen der von König Sejong (reg. 1418 bis 1450) initiierten Reform von Schrift und Musik notiert wurden. Um dieses Stück herum, dessen Melodie nunmehr ohne Gesang und im wahrscheinlich originalsten Zustand dem vierten Satz Garakdeori zugrunde liegt, entstanden durch Variation und Hinzufügung mehrere Ensemblesuiten.

    Die “Zumutung” oder Herausforderung, die diese Musik durch ihre beharrliche Langsamkeit dem heutigen Hörer (egal ob Koreaner oder Europäer) bietet, ist die einer Kultur, die sich über Jahrhunderte hinweg herausgebildet und verfestigt hat. Und so ist auch die Erschütterung, die sie hervorruft, vergleichbar mit der, die man beim Anblick 1000 Jahre alter Eichen oder phantastisch aufragender Gebirgsketten erlebt.

    Es ist schwer zu entscheiden, ob es sich bei dieser Suite um traditionelle Musik, also um eine lebende Musik, oder um Musik einer untergegangenen Epoche handelt. Die sozialen und weltanschaulichen Bedingungen sind spätestens mit der durch die japanische Besetzung (1910 bis 1945) bewirkten Kulturzerstörung aufgehoben worden - die Klasse der Gelehrten und der Bourgeoisie läßt sich heute so distinkt nicht mehr ausmachen. Hinzu kommt, daß sich auch durch das alleinige Abspielen der Noten, die teils aus Worten, teils aus graphischen Zeichen bestehen,  eine wirkliche Aufführung nicht realisieren läßt. Denn aus den 500 Jahren der Joseon-Ära werden die Spieltechniken, die Maßstäbe der Interpretation, auch heute noch mündlich überliefert.

    Die für Korea typische formale Eigenart, die auch in manch anderen traditionellen Musikformen vorkommt (z.B. die volkstümlichen Solosuiten Sanjo), besteht darin, daß die Musik sehr langsam beginnt und sich dann allmählich im Tempo steigert.

    In Yeongsanhoesang sammeln sich typische Eigenschaften und Elemente der Musik der koreanischen Aristokratie in modellhafter Form und sind damit grundlegend für das Verständnis der koreanischen klassischen Kultur.

  • Mit Jeong-ga, dem „tieffühlenden Gesang“ wendet sich die Musik ins Innere.

    Mit Jeong-ga, dem „tieffühlenden Gesang“ wendet sich die Musik ins Innere. „Nur ein Pferdekutscher singt mit aufgerissenem Mund!“ wurde den Gesangsschülerinnen der alten Zeit gesagt. Die Mäßigung der Emotionen war eine der wichtigsten Tugenden des Konfuzianismus, aber unter der Oberfläche des stoischen Gesangs auf die Kurzgedichte Sijo und der weitschweifigen, balladenartigen Lieder Gasa brodelt Verlangen, Liebe und Trauer, leicht entschlüsselbar kodiert in unzählige Arten des sanften Seufzens. Die maximal vier Instrumente umspielen die Melodie in freier Manier.

  • Gasa und Sijo

    „Gasa“ und „Sijo“ bezeichnen sowohl literarische Gattungen als auch ihre musikalischen Umsetzungen. Die mehrstrophigen Langgedichte Gasa stammen aus unterschiedlichen Epochen, die frühesten aus dem 16. Jahrhundert, die neuesten aus dem 19. Jahrhundert. Einige der Lieder liegen im Grenzbereich zum Volkslied und galten bei einigen Sängern als zu vulgär für die empfindsamen Gemüter der aristokratischen Hörer.

    Ein Sijo-Gedicht besteht dagegen in der Regel aus drei Versen zu je 14-16 Silben, die wiederum nach einem festen Schema untergliedert sind. In verdichteter Form und wenigen Worten wird ein poetischer Gedanke eingeleitet, zu einem Höhepunkt geführt und in einer nicht selten überraschenden „Wendung“ zum Abschluß gebracht. Bevorzugte Themen sind konfuzianische Untertanentreue und Patriotismus, Liebe und Freundschaft, aber auch Natur und Weltflucht (im Sinne von Flucht aus den strengen Regeln des Beamtenlebens früherer Jahrhunderte). Viele Gedichte sind metaphorisch vielschichtig angelegt und erschließen sich in ihrer Aussage erst durch einen Rekurs auf die jeweilige Entstehungszeit.

    Beim Sijo-Gesang werden die drei Gedichtverse auf drei entsprechende musikalische Abschnitte aufgeteilt. Diese werden mit einer recht einfach gebauten Melodie intoniert, die an den Enden der Abschnitte jeweils auf langen Haltetönen zum völligen Stillstand kommt. Das musikalische Interesse konzentriert sich auf subtile dynamische Abstufungen der einzelnen Töne, Tongruppen und Phrasen sowie auf den kunstvollen Einsatz zahlreicher verschiedener Vibrato-Arten und Verzierungstechniken. Diese Gestaltung ist bei allen Sijo-Gesängen mehr oder weniger identisch, so daß sich ein unmittelbarer Zusammenhang mit der individuellen Aussage des jeweils zugrunde liegenden Gedichtes nicht erkennen läßt.

  • Die Liederzyklen Gagok

    Die Liederzyklen Gagok für Männer- und Frauenstimme in Begleitung des größeren Pungryu-Ensembles vereinen alle diese unerhörten Sensibilitäten in sich.

    Gagok ist formal wie musikalisch wesentlich komplexer angelegt. Die drei Sijo-Verse werden auf fünf musikalische Abschnitte verteilt. Vor dem vierten Abschnitt wird ein instrumentales Zwischenspiel eingeschoben. Ein Vor- bzw. Nachspiel rundet die Darbietung ab. Obwohl die Melodik beweglicher und abwechselungsreicher gestaltet ist, gilt auch hier das Hauptinteresse der klangfarblichen Nuancierung und Ornamentierung der einzelnen Phrasen. Dem hat sich sogar die Textverständlichkeit unterzuordnen. Nicht nur, daß die einzelnen Textsilben melismatisch lang gedehnt werden und der Sinnzusammenhang der Wörter verloren geht. Einer größeren Farbigkeit des Klanges wegen werden bestimmte Vokale auch bewußt verändert, Diphthonge in Einzelvokale aufgelöst, Silben zum Atemholen unterbrochen und beim Neuansatz emphatisch betont. Dies alles zielt auf eine nach primär ästhetischen Gesichtspunkten gestaltete vokale Klangkunst, die in keinerlei näherer Beziehung zur Aussage des konkreten Liedtextes steht.

    Die Bezeichnung Ga’gok („Lied-Stück“) ist erst seit dem 19. Jahrhundert allgemein gebräuchlich, während die Gesangsgattung selbst viel älter ist.

    Erst in den Gedichtanthologien des 19. Jahrhunderts bilden sich feste Zuordnungen einzelner Sijo-Texte zu bestimmten Melodieweisen heraus.

    Als man dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts das klassische Gagok-Repertoire neu ordnete, wählte man 41 Melodieweisen aus, denen man nur noch jeweils einen Sijo-Text unterlegte. Die Titel dieser Gagok-Lieder bezeichnen aber auch heute noch die Melodieweisen und nicht die Inhalte der Gedichte.

    Der Gagok-Gesang zählt zweifellos zu den anspruchsvollsten Vokalgattungen der klassischen koreanischen Musik. Die instrumentale Begleitung ist ebenso wie bei Yeongsanhoesang notiert. Bereits im 18. Jahrhundert lag seine Pflege und Überlieferung in den Händen von professionellen Musikern.