Literatur

„Auch in fremden Lebenswelten gibt es innig Vertrautes“

Im Gespräch mit Tobias Burghardt, Verleger der Stuttgarter Edition Delta, die kürzlich ihren Verlagslesekatalog „Koreanische Literatur“ vorstellte.


Der Stuttgarter Literaturverlag Edition Delta verlegt ausschließlich ausländische Literatur in deutscher Übersetzung, darunter auch aus eher ungewöhnlichen Sprachen wie Maya-K’iche‘, eine Maya-Sprache, und Sephardisch. Wie kam es zu dieser Ausrichtung?


Im Bereich der Belletristik erscheinen in Deutschland ebenso viele Übersetzungen aus anderen Sprachen wie deutschsprachige Originalbücher. Wir selbst sind Übersetzer, vor allem aus dem Spanischen, und haben folglich den Schwerpunkt auf übersetzte Literatur gelegt. In der Edition Delta erscheinen mehrere Buchreihen, darunter lateinamerikanische Lyrik, zu der natürlich auch die moderne indigene Poesie gehört, etwa aus dem Maya-K’iche‘ von Humberto Ak’abal, oder eben die sephardischen Gedichte mit dem Titel „dibaxu“ (,darunter‘) des großen argentinischen Autors Juan Gelman (1930-2014). Zudem veröffentlichen wir katalanische Poesie, lusophone Lyrik, d.h. portugiesischsprachige AutorInnen aus mehreren Kontinenten wie Lateinamerika (Brasilien), Afrika (Angola und São Tomé e Príncipe) und Europa (Portugal), sowie spanische Poesie und neuerdings auch koreanische Literatur.

Cover des Verlagslesekatalogs „Koreanische Literatur" (Foto: Delta-Archiv, Stuttgart)

Seit Herbst dieses Jahres liegt Ihr Verlagslesekatalog „Koreanische Literatur“ vor, der in kurzen Auszügen fünf Lyrik- und fünf Prosawerke der koreanischen Literatur vorstellt, die in der Edition Delta veröffentlicht wurden. Welches der Werke würden Sie den Lesern besonders empfehlen?

Anlässlich der ersten zehn koreanischen Bücher in der Edition Delta haben wir diese neue Literaturreihe auszugsweise vorgestellt und sowohl als gedrucktes Lesebuch als auch online herausgebracht. Dabei wird ein freier Einblick in jedes einzelne Buch gegeben, teilweise sogar zweisprachig, also mit dem koreanischen Originaltext, zum Beispiel bei Kim Sun-Woo (* 1970) aus ihrem Lyrikband „Unter Pfirsichblüten eingeschlafen“, bei Shin Dal Ja (* 1943) aus ihrer Werkauswahl „Morgendämmerung“ oder bei Park Hijin (* 1931) aus seiner Gedichtsammlung „Himmelsnetz“. So liegt die Auswahl bei den LeserInnen selbst, die sich hier einlesen können, um herauszufinden, welche koreanische Autorin, welcher koreanische Autor ihnen darunter besonders gefällt. Bei der Lyrik wäre das Buch „Augen aus Tau“ von Mah Chonggi (* 1939) zu nennen, der von dem Philosophen und versierten Rezensenten Ludger Lütkehaus in der Neuen Zürcher Zeitung mit dem Lyriker Gottfried Benn (1886-1956) verglichen wurde: weniger „Kälte“ und „Nihilismus“ als jener, dafür mehr „Naturnähe des Taoismus, der buddhistischen Empathie“. Oder der neokonfuzianische Denker Toegye (1501-1570), eine Berühmtheit in Korea, der hier als Dichter vorgestellt wird. Bei den Prosaschriftstellern sind sicherlich zwei Werke zu empfehlen: die Romane „Schwertgesang“ von Kim Hoon (* 1948) und „Mondestrunken“ von Jung Young Moon (* 1965), zu dem ein Essaywettbewerb stattfand.

Zweisprachige Buchpräsentation der Neuerscheinung „Unter Pfirsichblüten eingeschlafen" im Forum International mit der koreanischen Dichterin Kim Sun-Woo (Mitte) und Juana Burghardt (re.) auf der Leipziger Buchmesse (Foto: Delta-Archiv, Stuttgart).

Ihre koreanische Literaturreihe entstand in Kooperation mit dem Koreanischen Institut für Literaturübersetzungen (KLTI) in Seoul. Seit wann besteht diese Kooperation, und wie ist die Auswahl der übersetzten Werke erfolgt?

Seit etwa zehn Jahren arbeiten wir mit dem Koreanischen Institut für Literaturübersetzungen (KLTI) vielfältig zusammen. Was die koreanische Buchreihe der Edition Delta seit 2007 betrifft, so erhielten wir erst Empfehlungen mit Textauszügen oder aber auch vollständig übersetzte Manuskripte, aus denen wir dann auswählen konnten, welche wir zur Veröffentlichung annehmen würden. Meist sind die koreanischen AutorInnen und ihre Themen hier unbekannt, weshalb die Vermittlungsarbeit im Vordergrund steht, wie wenn es sich um ein Debüt handelt.

Gute tradierte Literatur steht und fällt mit der Übersetzung. Wie erfolgte die Auswahl der Übersetzer?

Auf die Auswahl der Übersetzer hatten wir bisher keinen Einfluss, diese geschah vor Ort, während natürlich bei der Übersetzung das Verlagslektorat eine entscheidende Rolle spielt, das für die Rezeption wesentlich ist, um die authentische Stimme des Autors in der anderen Sprache noch zu hören. Deshalb bevorzugen wir gerade bei der Lyrik zweisprachige Ausgaben, die ja die beiden Ufer und die Überfahrt sinnfällig für uns Leser veranschaulichen sowie all die Mühen der Übersetzer in den konkreten Rahmen zwischen zwei Kulturen stellen.

Park Hijin (Foto: Delta-Archiv, Stuttgart)

In Zusammenhang mit der koreanischen Literatur sprechen Sie davon, dass „die Peripherien der Weltliteraturen die kreativen Innovationszentren bilden“. Inwiefern sehen Sie Korea und seine Literatur als „kreatives Innovationszentrum“?

Neue Literaturen entstehen ständig weltweit. Der übersetzerische Ansatz der Edition Delta gilt dieser transkulturellen Vermittlung der koreanischen Poesie und Prosa, die etliche interessante, herausragende und lesenswerte Werke hervorgebracht haben. Innovativ und kreativ sind zum Beispiel formale oder auch inhaltliche Ansätze wie etwa der Roman „Mondestrunken“ des jungen Schriftstellers Jung Young Moon, „ein seltener Versuch der Reflexion östlichen Denkens mit den Mitteln experimenteller Prosa“, worauf uns der Übersetzer Philipp Haas aufmerksam macht. Oder auch die Naturphilosophie Pung ryu do (,Weg des Pneuma‘), in der alles Leben vom Fließen des Pneuma (Chi) im All hergeleitet wird und die drei großen Strömungen des Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus zusammenfließen, wie bei Park Hijin und Toegye in vorzüglichen Hanshi-Vierzeilern oder einzeiligen Vier-Zeichen-Sprüchen (Sa ja song o) zu entdecken ist. Park Hijin schreibt poetologisch in seinem Gedicht „In einem Vierzeiler“ (사행시 안에, Sahaeng-si an-e) über den koreanischen Vierzeiler: „Der Vierzeiler verbindet Erde, Wasser und Mond, / Wirklichkeit & Traum, Seele & Körper, Heiliges & Weltliches./ Drei Elemente im Vierzeiler – Himmel, Erde und Mensch - “. (사행시 안에 지·수·화·풍이, 현실과 꿈이 있소. / 영혼과 육체, 聖·俗성·속이 꼬리를 물고 도오. / 사행시 안에 천·지·인 三才삼재의 조화가 있소.). Park Hijin ist schon ein bemerkenswerter Lyriker. Der Auswahlband von Toegye trägt den Titel „Als der Hahn im Dorf am Fluss krähte, hing der Mond noch im Dachgesims“, den der Schriftsteller Matthias Ulrich in seiner Buchbesprechung als „einen der schönsten Titel für einen Gedichtband“ bezeichnet hat: „Poetisch und einprägsam.“

Rückseite des Verlagslesekatalogs ,,Koreanische Literatur" (Foto: Delta-Archiv, Stuttgart)

Korea wird seit einigen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit immer stärker wahrgenommen: koreanische Markenprodukte, K-Pop, die koreanische Küche und Taekwondo erobern sich zunehmend einen Platz in unserem Alltag. Denken Sie, dass dieses Phänomen auch das hiesige Interesse an der koreanischen Literatur beeinflusst?

Sicherlich sind solche Trends hinweisend auf die Annäherungen zwischen diesen Kulturen, die sich auch im literarischen Austausch widerspiegeln, dank zunehmender Übersetzungen und Veröffentlichungen, die hier auf mehr Weltoffenheit, Sympathie und Einfühlung treffen.

Bislang hat die koreanische Literatur in Deutschland eher ein Nischendasein gefristet. Welche Impulse gehen gerade von der koreanischen Literatur aus, die sie für deutsche Leser lesenswert machen?

Die allgemeinen Kenntnisse der chinesischen und japanischen Weltliteraturen, die hier bislang eher verbreitet und geschätzt sind, werden endlich erweitert durch die koreanische Weltliteratur und vertiefen den neugierigen Blick in den äußersten Fernen Osten. Die Edition Delta legt darauf auch ihr besonderes Augenmerk. Vielleicht spielen zudem noch gewisse Parallelen der historischen Erfahrungen einer Teilung des Landes (hier: Ost-West, dort: Nord-Süd) eine wiedererkennende Rolle, die koreanische AutorInnen und ihre Werke interessant und lesenswert machen. Und der oben genannte poetische Vergleich der beiden Dichter-Ärzte Gottfried Benn und Mah Chonggi ist doch ein treffliches Beispiel interkultureller Betrachtung.

Inwiefern kann der Blick auf eine fremde Lebenswelt eine Bereicherung für unser eigenes Leben sein?

Auch im Vertrauten gibt es Fremdes, wie es in fremden Lebenswelten innig Vertrautes gibt.

Das Interview führte Gesine Stoyke, Redaktion „Kultur Korea“.

 

Links zum Verlagslesekatalog:

http://www.edition-delta.de/koreanische-literatur/edition-delta-koreanische-literatur/

http://issuu.com/yaez/docs/edition_delta_koreanische_literatur

 

Tobias Burghardt
(Foto: Delta-Archiv, Stuttgart)

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie (http://www.edition350.net/burghardt.html) und zuletzt »Septembererde & August-Alphabet« (2010). Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Portugal, Serbien, Schweden und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet.

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt: http://www.dasgedichtblog.de/category/essay/im-babylonischen-sueden-der-lyrik/.

Mit seiner Frau Juana Burghardt, der Herausgeberin und Illustratorin der koreanischen Literaturreihe in der Edition Delta, überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las (http://www.dasgedichtblog.de/die-grossen-gedichte-sind-immer-aktuell-lyrik-mit-pep-guardiola-liest-marti-i-pol/2015/07/02/), und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Werkausgabe des argentinischen Dichters und Denkers Roberto Juarroz (http://www.edition-delta.de/stuttgarter-juarroz-werkausgabe/).

Juana Burghardt
(Foto: Delta-Archiv, Stuttgart)

Juana Burghardt, Herausgeberin und Illustratorin der koreanischen Literaturreihe in der Edition Delta

Gesine Stoyke

Redaktion "Kultur Korea"

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