„eSport wird jedes Jahr weiter wachsen.“
Interview mit Johannes Preis, eine der eSport-Weltmeisterschaft in Korea miterlebte

Lichtspektakel während der Pause im Seoul World Cup Stadium (Foto: Johannes Preis)
Sie machen in Ihrer Freizeit Computerspiele. Viele denken dabei an ein sehr unkommunikatives Hobby, bei dem der Spieler viel Zeit allein verbringt und auf seinen Bildschirm fixiert ist, sodass soziale Kontakte ins Hintertreffen geraten. Entspricht dieses Vorurteil der Realität?
Kommunikation ist fast alles bei Computerspielen. Vor allem bei Teamspielen, bei denen es auf Zusammenarbeit und taktische Strategien ankommt, wird durchgängig kommuniziert. Dagegen ist ein Fußballspiel praktisch stumm. Es gibt kaum Momente, in denen niemand spricht – es ist praktisch das komplette Gegenteil von dem, was die außenstehende Gesellschaft denkt. Nur weil man nicht neben der Person steht, mit der man redet, hat das keine negativen Auswirkungen auf die Kommunikation. Im Gegenteil sogar, denn so ist man unvoreingenommen, und es entstehen Freundschaften, denen im Normalfall vielleicht äußere Barrieren im Weg gestanden hätten.
Ich kenne Dutzende Menschen, die über das Internet Freundschaften geschlossen haben, und das beim „Zocken". Diese halten meist länger als Freundschaften, die man in der Schule oder beim Studium knüpft.
Wann haben Sie begonnen, sich mit dem eSport zu befassen, und wie kam es dazu, dass Sie nach Korea gereist sind?
Mein Hobby übe ich aus, seitdem ich 13 bin. Nachdem meine Familie ihre erste Internet-Flatrate erhielt, begann ich mit dem Computerspiel „Warcraft 3“. Ich merkte, dass ich gut darin bin, und ein Freund von mir hat mich auf die Electronic Sports League (ESL) gebracht, in der damals fast alle Wettkämpfe im eSport stattfanden. Nachdem „Warcraft 3“ in die Jahre kam, habe ich angefangen, ein Rennspiel zu spielen – „Trackmania“. Dort gehörte ich zu den Besten in Deutschland und konnte viele Kontakte im eSport knüpfen. Irgendwann ging das Interesse jedoch verloren, und durch Zufall stieß ich im Jahr 2011 auf „League of Legends“.
Über drei Jahre spiele ich das Spiel nun, und immer noch übt es einen großen Reiz auf mich aus. Als die Ankündigung kam, dass das Finale der Saison 4 in Südkorea stattfinden sollte, war für mich klar, dass ich die Reise antrete. Einer meiner Freunde zeigte sich ebenfalls interessiert, weshalb wir zusammen gefahren sind. Solch ein Event, in einem riesigen Stadion und im „Land des eSport“, wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Und durch die Zusage für unsere Presseausweise von einer eSport Szene-Seite in Deutschland wussten wir, dass wir zudem viele neue Kontakte knüpfen können.
Sie nennen Korea das „Land des eSport“. Inwiefern war Ihnen Korea bereits vor Ihrer Reise im Zusammenhang mit Ihrem Spiele-Hobby ein Begriff?
Da ich schon mehrere Jahre im eSport aktiv bin und auch einige Management-Aufgaben übernommen habe, ist mir Korea schon seit mehreren Jahren ein Begriff im Zusammenhang mit meinem Hobby. Zum einen weiß ich, dass eSport dort anerkannt ist und Computerspiele vollkommen in den Alltag integriert sind und vor allem akzeptiert werden. Zum anderen ist mir bekannt, dass dort Pro-Gamer ein Beruf ist und dass Profis dieses Bereichs wie Fußballstars in Deutschland gefeiert werden. Es besteht keine Notwendigkeit in Korea, als eSportler seine Fähigkeiten in den Schatten zu stellen. Mittlerweile hat sich das Bild dieses Sports in Deutschland gebessert; das liegt vor allem am Generationswechsel. Im Vergleich zu vor fünf Jahren, als ich 16 war, ist die Situation heute völlig anders.
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Foto: privat
Johannes Preis (21) wohnt in Eichsfeld, Thüringen, und studiert momentan an der FH Nordhausen Betriebswirtschaftslehre mit geplantem Studienabschluss im Jahr 2016. Nebenbei arbeitet er bei einem großen Gaming-Peripherie-Unternehmen in der Marketing-Abteilung. Mit einem Freund reiste er vom 13. bis zum 23. Oktober 2014 nach Seoul, um das Finale der Saison 4 des Computerspiels „League of Legends“ mitzuerleben (Weitere Informationen zu „League of Legends“ finden Sie auf der Homepage des Spiels).
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Welchen Ruf hat Korea in Kreisen in Deutschland, die sich mit Computerspielen befassen?
Bei Casual-Gamern und Spielern, die nicht groß in die eSport-Szene involviert sind, hält sich das Gerücht, dass Koreaner in jedem Spiel eine perfekte Leistung abrufen können. Wer sich ein wenig damit beschäftigt, wird sofort merken, dass diese Erfolge auf das viele Training zurückzuführen sind. Damals habe ich die Karriere des koreanischen „Warcraft 3“-Stars „Moon“ verfolgt und einige Videos angeschaut. Durch die zahllosen Siege von ihm und auch die Siege der Koreaner in „League of Legends“ verankert sich der Ruf, dass Koreaner besser als Europäer und Amerikaner sind. Das harte Training, das dafür notwendig ist, vergessen dabei jedoch viele.
In einem Beitrag über Ihre Koreareise, der in Ihrer Lokalzeitung „Thüringer Allgemeine“ veröffentlicht wurde, berichteten Sie, dass in Korea eSport und Computerspiele an jeder Ecke gegenwärtig sind. Können Sie Beispiele dafür nennen?
Sehr gerne. Schon als wir im Hotel ankamen, haben wir freie Fernsehsender gefunden, auf denen „gezockt" und gespielt wurde. Auch liefen oft Wiederholungen von Matches, die in der letzten Woche ausgetragen wurden. Zudem findet man in der U-Bahn Werbeplakate von Videospielen sowie im Fernsehen Werbespots, die auch Games zeigen. In der U-Bahn spielen praktisch 80 Prozent der Menschen Handy-Games oder schauen Wiederholungen von Spielen an; das konnte ich auf jeder Fahrt beobachten. Ein letztes Beispiel sind die „PC-Bangs“ (öffentliche ,PC-Räume‘), in denen Hunderte Menschen nach der Arbeit Online-Spiele spielen und ihrem Hobby nachgehen.
Wie stark wird der eSport in Korea Ihrer Einschätzung nach von der koreanischen Regierung unterstützt?
Hier kann ich nur wiedergeben, was ich gelesen habe. Ich weiß, dass die Regierung und die KeSPA (Korean e-Sports Association) versuchen, Pro-Gamer finanziell zu unterstützen, bzw. niedrigere Steuersätze festlegen. Vor wenigen Wochen erst wurden Änderungen bekannt gegeben, dass die Strukturen freundlicher gestaltet werden sollen. Die Unterstützung ist meiner Meinung nach groß, und im Vergleich zu Deutschland ist das ein Meilenstein. Hier wird das Thema ja bewusst – oder gekonnt - ignoriert.

Das Stadion füllt sich - wenige Minuten verbleiben bis zum Start des Finales (Foto: Johannes Preis)
Welchen Vergleich würden Sie zwischen der Situation des eSport in Deutschland und in Korea ziehen? Ist Deutschland in dieser Hinsicht eher noch ein „Entwicklungsland“?
Ja, mit Sicherheit. Das liegt aber auch an der konservativen Regierung in Deutschland. Wir schauen uns viel von den Amerikanern ab, aber „andere“ neue Phänomene werden ignoriert. So auch bisher der eSport bzw. Computerspiele. Deutschland hat einiges nachzuholen, denn eSport wird jedes Jahr weiter wachsen und Dimensionen annehmen, die sich Außenstehende nicht vorstellen können. Millionen Menschen spielen in Deutschland Computerspiele, und immer mehr messen sich darin. Ich würde mir wünschen, dass eSport auch von der deutschen Regierung mehr unterstützt wird. In 10-20 Jahren werden eSportler die Stars der Kinder sein; das ist teilweise schon heute der Fall. Korea ist da mehrere Schritte voraus und legt dem eSport nicht noch Steine in den Weg, sondern fördert diese Interessen – was meiner Meinung nach vollkommen richtig ist.
Hatten Sie während der Weltmeisterschaft die Gelegenheit, sich mit koreanischen Gamern auszutauschen?
Ich habe mit einem Redakteur der „New York Times“ Kontakte geknüpft, und dieser hat sich mit dem MVP (Most Valuable Player: ein Titel, den der beste Spieler am Ende des Turniers erhält) „Mata“, einem Spieler des Gewinnerteams Samsung Galaxy White, unterhalten. Dadurch habe ich viele Informationen über die Trainingszeiten und vor allem den Leistungsdruck erfahren. Teilweise durften die Spieler keine Freundin haben, mussten 14-16 Stunden am Tag trainieren und immer die volle Leistung abrufen. Das hatte ich zwar erwartet, aber es live zu hören, ist doch etwas anderes.
Gab es viele andere internationale Teilnehmer?
Ja, definitiv. Vor allem im Pressebereich, in dem wir saßen, befand sich fast nur internationale Presse. Auch in den Zuschauerreihen haben sich viele Fans aus aller Welt gefunden; trotzdem würde ich den Anteil der koreanischen Besucher auf 95 Prozent schätzen.

Zu sehen sind die beiden Teams, die im Finale gegeneinander angetreten sind (Foto: Johannes Preis).
Können Sie für Außenstehende, die sich mit diesem Bereich überhaupt nicht auskennen, einmal kurz erklären, wie die Meisterschaft in Korea abgelaufen ist?
Die beiden Teams, die im Finale standen, mussten sich über regional begrenzte Turniere für die Gruppenphase der Weltmeisterschaft qualifizieren. In die Gruppenphase der Weltmeisterschaft zogen mehrere Teams von jedem Kontinent ein, so dass am Ende 16 Teams feststanden. Diese spielten in einer ganz normalen 4x4-Gruppenphase gegeneinander; dabei spielte jedes Team zwei Mal gegen jeden Gegner aus der Gruppe. Die ersten beiden Teams kamen in die Playoffs.
Anschließend wurden Viertelfinale und Halbfinale ausgespielt, jeweils in einem Best-of-Five – also wer drei aus fünf Spielen gewinnt, kommt eine Runde weiter. Im Finale standen sich dann Samsung Galaxy White und Star Horn Royal Club gegenüber. Das Halbfinale und Finale wurde im Seoul World Cup Stadium ausgetragen, und 40.000 Zuschauer sahen das Best-of-Five-Finale zwischen dem südkoreanischen und chinesischen Team.
Die koreanische Gesellschaft ist hoch digitalisiert. Inwiefern merkt man das den Menschen im alltäglichen Miteinander an?
Weniger, als ich erwartet hätte. In der U-Bahn hängt jeder über seinem Smartphone und spielt irgendwas. Aber sobald man in der Stadt unterwegs ist, sieht man viele Menschen, die miteinander kommunizieren. Zwar gibt es immer wieder junge Menschen, die ihren Blick auf das Smartphone gerichtet haben, aber im Durchschnitt ist es nicht viel schlimmer als in Deutschland. Vor allem benutzen in Korea auch die älteren Menschen Smartphone und Co.

Vor dem Deoksugung-Palast in Seoul (der Autor ist rechts im Bild)
(Foto: Johannes Preis)
Neben der Weltmeisterschaft hatten Sie sicher auch die Gelegenheit, ein wenig von Korea zu sehen. Welche Eindrücke haben Sie von den Menschen und dem Land mit nach Hause genommen?
Sehr viele positive Eindrücke. Ich war sehr begeistert davon, wie die Menschen miteinander umgehen. Das respektvolle Verbeugen und die Tatsache, dass man seine linke Hand nur unterstützend benutzen darf, fand ich sehr interessant und auch gut. Mir hat ein älterer Koreaner erzählt, dass diese Werte in der Jugend momentan verloren gehen. Mit einem Werteverlust hat man ja auch in Deutschland zu kämpfen. Trotzdem scheinen die Leute in Korea noch eher die Umgangsformen zu kennen. Ich war beeindruckt von der Sauberkeit in den Straßen und auch davon, dass es keine Graffitis oder keinen Vandalismus gibt. Ich würde mir wirklich wünschen, dass sich die deutsche Gesellschaft den Respekt, den die Koreaner untereinander zum Ausdruck bringen, abschauen.
Der Verkehr und der Lärm waren besonders anstrengend für mich. Ich wohne auf einem Dorf, und da ist eine solche Stadt mit rund zehn Millionen Einwohnern natürlich ungewohnt. Dass es dort 24 Stunden am Tag laut ist, hat manchmal schon gestört, aber letztendlich war es zu ertragen. Da ich mich gern anderen Kulturen anpasse und mich im Vorfeld informiert habe, gab es keinen wirklichen Kulturschock für mich. Ich habe die Unterschiede zu Deutschland genossen und habe, wie gesagt, fast nur positive Erinnerungen mitgenommen.
Inwiefern hat Sie diese Reise persönlich weitergebracht?
Ich habe viele neue berufliche Kontakte geknüpft und versuche, vieles mit nach Deutschland zu nehmen, was ich in Korea gesehen habe. Leider ist das schwer, da hier eine komplett andere Atmosphäre herrscht. Die Mentalität der Koreaner war beeindruckend, und es gibt etliche Dinge, die wir lernen können. Ich habe auch neue Erfahrungen gesammelt und bin sehr froh, diese Reise gemacht zu haben.
Haben Sie vor, einmal wieder nach Korea zu reisen?
Mit Sicherheit. Zwar nicht in den nächsten drei bis vier Jahren, aber ich will definitiv noch einmal in die Kultur Koreas „abtauchen“. Wäre ich nicht schon so weit in meinem Studium, könnte ich mir mittlerweile auch ein Auslandssemester in Korea vorstellen. Mir hat es dort sehr gefallen und menschlich kann man – falls man einem neuen „Denken“ offen gegenübersteht – nur dazulernen.
Das Interview führte Gesine Stoyke