Kunst

Französische Haute Couture trifft Hanbok

Die Vernissage der Designerin Saena Chun am 30. Juni im Koreanischen Kulturzentrum
 

Entwürfe der Designerin Saena Chun (Fotos: Koreanisches Kulturzentrum)

Bei der Vernissage von „Robes – Variation VII“ am 30. Juni im Koreanischen Kulturzentrum bildeten die Modelle der Designerin Saena Chun, die in der Mitte des Raumes zu schweben schienen, den Fokus. Es wurden zehn Kleider (französisch: robes) ausgestellt, die dem traditionellen koreanischen Gewand Hanbok (한복) nachempfunden sind. Der Hanbok für Frauen besteht gewöhnlich aus zwei Teilen – einer kurzen, boleroähnlichen Jacke (저고리, Jeogori) und einem weiten, geschwungenen Rock (치마, Chima). Im Kulturzentrum wurden aber Einteiler gezeigt, die sich an einem Übermantel (철릭, Cheollik) orientierten, der einen geraden Kragen und einen Rock mit Faltenwurf besitzt. Alle diese Kleidungsstücke fallen unter den Oberbegriff „Hanbok".

Ein Vortrag auf der Handpan - einem neuartigen Perkussionsinstrument, gespielt von Jin Sungeun - schien perfekt für diesen Anlass gewählt, da ihr sphärischer Klang das Luftige, Leichte der Kleider noch weiter unterstrich. Rund 100 Gäste drängten sich in dem Raum, um Saenas Entwürfe näher zu begutachten. „Ich durfte viel über die Schönheit des Einfachen und gleichzeitig über die Perfektion lernen. Es war ein Genuss, diese wunderschönen Stoffe zu sehen, zu fühlen und daraus, mit einfachen und einzigartigen Techniken, inspiriert durch die traditionellen koreanischen Gewänder, diese wunderbaren Kleider zu designen und herzustellen“, sagte die Designerin in einer kurzen Ansprache, in der sie ihren Freunden und Unterstützern dankte. Es folgte das Grußwort des Leiters des Koreanischen Kulturzentrums, des Gesandten-Botschaftsrats Dr. Kwon Sehoon, der allen Gästen einen inspirierenden Abend wünschte.

Die Designerin Saena Chun am Abend der Vernissage

Saena Chun präsentierte bei dieser Vernissage das Ergebnis ihres Projekts, für das sie von der Planung bis zur Realisierung fast fünf Monate benötigt hatte. Für sie, die an der Modeschule ESMOD Paris studiert und in der französischen Hauptstadt für Sonia Rykiel und Chloé gearbeitet hatte, war dies die erste Auseinandersetzung mit der traditionellen Kleidung ihres Heimatlandes. Um mehr über den Hanbok und seine Herstellungstechniken zu erfahren, war sie Anfang dieses Jahres extra nach Seoul gereist und hatte den berühmten Dongdaemun-Markt im Seouler Bezirk Jongno-gu besucht. Der Markt hat gigantische Ausmaße und besteht aus 26 Einkaufsmalls, die sich über zehn Gebäudekomplexe erstrecken. Es gibt dort 50.000 Hersteller und 30.000 Spezialgeschäfte. Hier kann man alles kaufen - von Seide und Stoffen bis zu Kleidung, Schuhen, Leder- und Sportartikeln. Auf dem Markt fand sie, was sie suchte: Geschäfte, in denen traditionelle Stoffe verkauft werden, viele davon noch per Hand gewebt. Besonders beeindruckte sie die Oksa-Seide (옥사), die von fester Qualität ist und an Organza erinnert. Um den Stoff geschmeidiger zu machen, muss er mit einem hölzernen Schlegel bearbeitet werden - was ihm auch eine dezentere Farbgebung verleiht. Nachdem Saena Chun bisher immer nur mit glatten, fließenden Seidenstoffen wie Chiffon gearbeitet hatte, entschied sie sich, das Experiment zu wagen und aus diesem Stoff ihre neue Kollektion anzufertigen. Dies erforderte auch die Aneignung einer ihr völlig unbekannten Nähmethode. In dem Geschäft, in dem sie vor drei Jahren den Hanbok für ihre Hochzeit anfertigen lassen hatte, fand sie jemanden, der sie im Nähen unterrichten konnte. Zurück in Deutschland, übte sie sich zunächst in den neu erworbenen Techniken, bevor sie mit der praktischen Umsetzung ihrer Entwürfe begann.

Musikalischer Vortrag auf der Handpan von Jin Sungeun

Man sah es der Designerin, die sich am Abend der Vernissage entspannt mit ihren zahlreich erschienenen Freunden unterhielt, nicht an, aber hinter ihr lagen Wochen außergewöhnlicher Anstrengung: Da sie in Deutschland niemanden finden konnte, der sich mit traditionellen koreanischen Nähmethoden auskennt, musste sie alle Arbeiten eigenhändig ausführen. Die gesamte Kollektion entstand innerhalb von sechs Wochen. „Ich habe Tag und Nacht gearbeitet und mich komplett von der Außenwelt abgeschottet“, gesteht sie lachend. Anders hätte sie diese Leistung wohl auch nicht vollbringen können, wirft man einen näheren Blick auf die makellos gearbeiteten Säume und Nähte, die mit einer komplizierten Doppelstichmethode namens Kkaekki-Nähmethode (깨끼 바느질) jeweils drei Mal ausgeführt werden mussten. Gerade bei dünnen und transparenten traditionellen koreanischen Stoffen wie Mosi (모시, Ramie) kommt sie zum Einsatz, damit die Nähte innen wie außen dekorativ aussehen. Bei dieser Technik ist der Zeitaufwand zwei- bis dreimal so hoch wie bei anderen Nähmethoden.

Um die spezifischen Merkmale von Material und Stoff und die aufwendigen Fertigungstechniken ihrer neuen Kollektion in den Mittelpunkt zu rücken, hatte die Designerin die Idee, ihre Kleider nicht an Modellen, sondern eigenständig fotografieren zu lassen. „Es ging mir mehr um meine Arbeiten und die pure Schönheit der Stoffe“, betont sie. Die Umsetzung ihrer Idee ist dem Fotografen Torben Geeck perfekt gelungen, wie die Fotos zeigen, die die Wände der Ausstellungsfläche im Koreanischen Kulturzentrum füllen. Trotz des festen Materials wirken Saenas Kleider auf den Bildern transparent und schwerelos zugleich.

Ein Blick auf den Fußboden zeigt die Schnittmuster der Designerin

Wer bei dieser Vernissage einen Blick auf den Fußboden warf, konnte eine weitere Besonderheit von Saenas Kollektion ausmachen: Abbildungen der Schnittmuster, die in ihrer Einfachheit verblüfften – so weit das Auge reichte, nur Rechtecke unterschiedlicher Größe. Wie ist dies möglich, wo der Hanbok, welcher der Modemacherin als Vorbild diente, sich doch gerade durch die Ästhetik seiner geschwungenen Linien auszeichnet, mag sich mancher Besucher gefragt haben. Da müssten doch eigentlich auch die Schnittmuster Kurven enthalten. Saena Chun war selbst überrascht, wie sie erzählt, als sie feststellte, wie einfach die Grundelemente des Hanboks sind. „Um Kurven zu erzielen, muss man bei einem rechteckigen Stück Stoff lediglich den Anfangs- und Endpunkt markieren und den Stoff entsprechend nähen, aber beim Zuschneiden sind keine vom Rechteck abweichenden Formen erforderlich“, erklärt sie. Diese Herstellungsmethode ist sehr effizient, was Material und Zeitaufwand angeht, da kaum Verschnitt entsteht und das Zuschneiden relativ einfach ist. Ein „super-cleveres“ Konzept, wie Saena findet. Sie gibt den nicht ganz ernst gemeinten Tipp, dass Besucher, denen ein Kleid besonders gut gefällt, das Schnittmuster mit dem Smartphone abfotografieren und das Modell zu Hause nachnähen können.

Vorführung des Videos von Alexander Georghiu

Professionelle Modekollektionen gehen stets mit einem Foto-Shooting einher. In jüngster Zeit sind viele Labels dazu übergegangen, Filme anzufertigen, um einen Eindruck von den Kleidern in Bewegung zu vermitteln. Auch Saena wollte dieses Mal ein Video produzieren lassen, aber mit eigenen Akzenten. Sie setzte sich mit befreundeten Künstlern zusammen, erzählte ihnen von dem Konzept hinter ihrer Kollektion, und diese waren begeistert. Die Filmemacher teilen Saenas Vorliebe für Bauhaus und die 1920er Jahre. In Anlehnung an die geraden, schnörkellosen Schnittmuster wählten sie geometrische Bewegungsabläufe und eine statische Kameraführung, spielten mit Sound und Bewegungen. Am Abend der Vernissage wurde das Video von Alexander Georghiu (Schnitt: Peter Scholl, Ton: Jens Bogedain) vorgeführt, das die Performance von Peter Kisur (Begründer der Honey-Suckle Company) und Chiaki Fujii in Saenas Entwürfen zeigt. Auch das Foto- und Video-Shooting musste die Designerin in den eng gesteckten Zeitrahmen des sechswöchigen Herstellungsprozesses integrieren. Trotz der kurzen Zeitspanne ist allen Beteiligten Großartiges gelungen, wie an diesem Abend deutlich wurde.

Bereits 2014 präsentierte Saena Chun im Koreanischen Kulturzentrum in Berlin ihre Kollektion „One woman – one dress“, in der sie sich ihrem Lieblingsthema, dem Kleid widmete. Dafür entwarf sie zeitlose, auf die Persönlichkeit der jeweiligen Trägerin zugeschnittene Lieblingsstücke, die eine Frau jahrzehntelang tragen kann.

Saena Chuns Kollektion im Koreanischen Kulturzentrum

Auch in ihrer jetzigen Kollektion „Robes -Variation VII“ ist sie ihrem bevorzugten Kleidungsstück, dem Kleid, treu geblieben. Neu ist aber, dass sie sich erstmalig mit der traditionellen koreanischen Tracht Hanbok auseinandergesetzt hat. Schon öfter hatte sie zu hören bekommen, dass ihre Kreationen „irgendwie koreanisch“ aussehen, was wohl auf ihre Vorliebe für figurumspielende, nicht zu eng anliegende Kleidungsstücke zurückzuführen ist. Dies entspricht auch den Eigenschaften des Hanboks, der sich durch einen weiten Schnitt auszeichnet und so eine maximale Bewegungsfreiheit ermöglicht.

Nachdem Saena Chun sich in ihren vergangenen Entwürfen vielleicht bereits unbewusst am traditionellen koreanischen Kleidungsstil orientiert hatte, ließ sie sich dieses Mal nun bewusst darauf ein. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist noch bis zum 25. August im Koreanischen Kulturzentrum zu sehen (Entgegen des ursprünglichen Plans endet die Ausstellung nicht am 20. August, sondern erst zum oben genannten Datum mit einer Finissage).  

Gesine Stoyke

Redaktion "Kultur Korea"

Ähnliche Beiträge

Kunst

Kunst aus Korea und Deutschland: auf dem Weg ständiger Veränderung

6 Künstlerinnen zeigen, wie ein visuelles Projekt unter Corona-Bedingungen gelingen kann. 

Kunst

Die Kunst, eine Debatte auszulösen

Die Biennale in Gwangju (1. April – 9. Mai 2021) im Zeichen der Pandemie

Kunst

In der Tiefe des Lebens

Wie Korea in einer katholischen Kirche in einer kleinen Gemeinde am österreichischen Wörthersee sichtbar wird.