
Filmfestival „Korea Independent" in Berlin – die 5. Ausgabe
Das Filmfestival „Korea Independent" läuft vom 15.-30. September in Berlin. Unter Berücksichtigung der besonderen Corona-Situation findet die 5. Ausgabe des Festivals im Online-Format statt. In diesem Jahr werden 7 Spielfilme und 4 Dokumentarfilme präsentiert.
Eine der Strömungen des diesjährigen Festivals ist das Thema „Blutsverwandtschaft". Der Eröffnungsfilm „Three Sisters" zeichnet den Prozess, wie drei Schwestern in das Trauma ihrer Kindheit eintauchen und den Knoten der Erinnerungen lösen, die sie bis zur Geburtstagsfeier ihres Vaters verdrängt haben. Der Film kulminiert in einer Familienszene, in der sich die angestaute Wut der einzelnen Charaktere exlosionsartig entlädt. Während „Three Sisters" die Familie als Quelle der Gewalt betrachtet, beschreibt „Festival" die tragikkomische Geschichte des Sohnes, der am Tag der Beerdigung seines Vaters andere zum Lachen bringen muss, um die Kosten für die Bestattung aufzubringen. „Our Mother" ist ein Dokumentarfilm, der von der Kindergeneration der nach Deutschland entsandten koreanischen Krankenschwestern handelt. Die 2. Generation, die in Deutschland Wurzeln geschlagen hat, blickt auf das eigene Morgen und auf die früheren Leben ihrer Mütter.
Eine weitere Strömung ist die Macht des „Orts". Der Ort ist der Hauptakteur von „Everglow", der vor der Kulisse von Koreas Insel Jeju spielt, und von „Winter's Night", dessen Location die Stadt Chuncheon ist. „Everglow" handelt von der Liebe einer 70-jährigen Jeju-Taucherin (Haenyeo) und eines 30-jährigen Dokumentarfilmers. Der Film beeindruckt, indem er diese besondere Liebe, die Generationen überspringt, durch universale Emotionen verlängert. In „Winter's Night" kehrt ein Paar mittleren Alters nach 30 Jahren nach Chuncheon zurück. Durch die Winterlandschaft von Chuncheon und die nächtliche Szenerie des Tempels Cheongpyeong-sa wird eine träumerische Stimmung erzeugt.
Die dritte Tendenz des Festivals besteht in der Behandlung des Themas „Jugend". In „Welcome To The Guesthouse" wird das Thema der Jugend, die an die Grenzen der Realität stößt, mit dem Thema „Wintersurfing" auf unterhaltsame Weise verknüpft. „Made on the Rooftop" beschreibt auf frische Weise die Liebe und den Alltag der LGBTQ-Szene von heute und vertreibt dunkle Wolken.
In diesem Jahr hält das Festival viele Filme bereit, die die „Realität" wirklichkeitsgetreu einfangen, indem sie Probleme des Arbeitslebens oder die Gleichstellung der Geschlechter thematisieren. „I Don't Fire Myself" portätiert die strukturellen Widersprüche des koreanischen Arbeitsmarkts anhand einer Arbeiterin, die plötzlich in ein Subunternehmen versetzt wird. „Time To Read Poems" zeigt fünf Personen, die alle mit einem Gefühl der Angst leben, und demonstriert die Relevanz und Bedeutung des lauten Vorlesens von Gedichten. Im „Sister J." steht der entlassene Arbeiter LIM Jaechun im Mittelpunkt, der auch in „Time To Read Poems" auftaucht. Für das Publikum kann es sicher interessant sein, auf die Bezüge zwischen den beiden Filmen zu achten. In „Us, Day by Day" demonstriert die Regisseurin KANGYU Garam anhand von fünf feministischen Freundinnen die Sorgen heutiger Frauen.
Online-Filmgepräch
Wir freuen uns auch auf das Gespräch mit Filmexpert*innen, das ab dem 15. September online verfügbar sein wird. Die Teilnehmer*innen aus Korea und Deutschland werden sich eine lebhafte Diskussion über „Three Sisters", den Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals, liefern.
Teilnehmer*innen:
- Dr. Tatiana Rosenstein (Film- und Kunsthistorikerin)
- Dr. Jan Küveler (Filmkritiker und Chefkorrespondent Feuilleton / Welt & Welt am Sonntag)
- Su-Jin Song (Autorin/Regisseurin/Produzentin)
- Moderator: Frank Joung (Freier Journalist und Podcaster „Halbe Katoffl")

Programm
Three Sisters 세자매 (2021)
15.-24. Sept.
Regie: LEE Seungwon/ Darsteller*innen: MOON Sori, KIM Sunyoung, JANG Yoonju/ Drama/ 115min / OmeU
Die emotional unterkühlte älteste Tochter Huisuk (KIM Sunyoung), die doppelgesichtige und prätentiöse zweite Tochter Miyeon (MOON Sori) und die dem Alkohol und dem Nichtstun verfallene dritte Tochter Miok (JANG Yoonju). Zwischen den drei Schwestern existiert ein unbestimmtes Gefühl der Leere und Düsternis. Diese düstere Stimmung entlädt sich bei der Geburstagsfeier des Vaters in Form von Zorn und Verbitterung. Der Film legt schonungslos offen, wie in der Familie erlittene Albträume der Kindheit und die daraus resultierenden Traumata das gesamte Leben zerstören können. Aus der Norm fallende plastische Charaktere und brillantes Zusammenspiel der Schauspielerinnen.
Festival 잔칫날 (2020)
16.-25. Sept.
Regie: KIM Lok-kyoung/ Darsteller*innen: HA Jun, SO Ju-yeon/ Drama/ 108min / OmeU
Am Tag der Beerdigung seines Vaters geht der Sohn (HA Jun), von Beruf Eventmanager, zum Haus einer Feier. Da er das Geld für die Beerdigung seines Vaters verdienen muss, kann er nicht an dessen Sarg wachen, sondern muss an einer Geburtstagsfeier teilnehmen. An einem der traurigsten Tage seines Lebens wird von ihm erwartet, dass er andere zum Lachen bringt. Währenddessen wird die Tochter (SO Ju-yeon), die in Abwesenheit ihres Bruders am Sarg des Vaters wacht, nicht als Haupttrauernde anerkannt, da sie eine Frau ist. „Festival" zeichnet die herzerweichende Situation und Ironie armer Familien als Geschichte von Menschen, die in Momenten der Verzweiflung wegen ihrer Geldnöte sogar ihre Trauer nicht angemessen ausleben können.
Winter's Night 겨울밤에 (2020)
17.-26. Sept.
Regie: JANG Woo-jin/ Darsteller*innen: SEO Young-hwa, YANG Heung-ju/ Drama/ 91min/ OmeU
Heung-ju (YANG Heung-ju) und Eun-ju (SEO Young-hwa), ein Paar mittleren Alters, geht nach Chuncheon, wo ihre Beziehung angefangen hat, und verbringt dort eine Nacht. Es tauchen ein Soldat und seine Freundin auf, die ihr Schiff verpasst haben und deshalb nun am dortigen Tempel festsitzen. Die Wege der beiden Paare kreuzen sich, und es entfaltet sich eine surreale Geschichte. Der Regisseur JANG Woo-jin hat bereits in „Autumn, Autumn" (,춘천, 춘천', 2016) das Thema „Zeit und Ort" auf ansprechende Weise dargestellt und entwickelt seine Geschichte auch dieses Mal in einem experimentellen Stil. Der gefeierte Film erhielt Einladungen zum 48. International Film Festival Rotterdam, zum 33. Mar del Plata International Film Festival und zum 62. San Francisco International Film Festival.
Everglow 빛나는 순간 (2021)
18.-27. Sept.
Regie: SO Joon-moon/ Darsteller*innen: GOH Doo-sim, JI Hyun-woo/ Drama/ 95min/ OmeU
Das Werk portätiert die Liebe zwischen der 70-jährigen Jeju-Taucherin (Haenyeo) Jinok (GOH Doo-shim) und dem Dokumentarfilmer Gyeonghun (JI Hyun-woo) in seinen Dreißigern. Der Regisseur, der viele queere Filme gedreht hat, porträtiert die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, die gewöhnlich aufgrund der Vorurteile wegen des großen Altersunterschieds nicht ausgelebt wird. Anstatt provokante Fragen zu stellen, konzentriert er sich auf die magischen Momente, die jeder Liebe innewohnen.
GOH Doo-shim wurde für diesen Film beim 18. Asian Film Festival mit dem Preis als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
Welcome To The Guesthouse 어서오시게스트하우스 (2020)
19.-28. Sept.
Regie: SHIM Yohan/ Darsteller*innen: LEE Hakju, BAK Sunyoung, SHIN Minjae/ Komödie, Drama/ 99min / OmeU
Der Film handelt von Jun-geun (LEE Hakju), der einen Ferienjob in einem Gästehaus am Meer angefangen hat. Mit einem Surfer aus reichem Hause liefert er sich einen Wettkampf darüber, wer den Yangyang-Strand verlässt. Der Film ist die unbeschwerte Darstellung eines jungen Menschen, der das Surfen lernt und dabei allmählich entdeckt, was ihm wichtig ist. Auch wenn das Werk auf den ersten Blick wie das übliche Drama über das Erwachsenwerden erscheinen mag, das die Not der jungen Generation zeigt, die mit einer harten Realität konfrontiert ist, hat es durch den besonderen Humor und die comicartige Darstellung eine ganz eigene Prägung.
I Don’t Fire Myself 나는 나를 해고하지 않는다 (2021)
19.-28. Sept.
Regie: LEE Tae-Gyeom/ Darsteller*innen: YOO Da-in, OH Jung-se/ Drama/ 111min/ OmeU
Jeongeun (YOO Da-in) wird von der Firma plötzlich ohne Vorwarnung in ein Subunternehmen versetzt. In einem feindseligen Arbeitsumfeld kämpft sie um ihren alten Arbeitsplatz. Das Werk taucht in die Welt der Arbeit ein, die für den einen die Lebensader und für den anderen eine Frage der Menschenwürde ist. Der Film setzt sich intensiv mit dem Thema „Arbeit", mit dem unfairen Hin- und Herschieben von Arbeitnehmern und einer Berufssituation auseinander, in der weibliche Arbeitnehmerinnen ausgeschlossen werden. Die Protagonistin YOO Da-in wurde beim 38. Fajr International Film Festival mit dem Special Mention Award ausgezeichnet.
Made on the Rooftop 메이드 인 루프탑 (2021)
20.-29. Sept.
Regie: KIMJHO Gwang-soo/ Darsteller*innen: LEE Hong-nae, JUNG Whee, KWAK Min-kyu/ Romanze, Komödie/ 87min/ OmeU
„Anders als früher haben junge Menschen in ihren Zwanzigern heute gewöhnlich ihre Probleme mit der eigenen Identität bereits im Teenageralter hinter sich gelassen. Ich wollte ihre optimistische Geschichte behandeln." So wie es Regisseur KIMJHO Gwang-soo mit eigenen Worten sagt, hat er die Darstellung von Zugehörigen der LGBTQ-Community, die unter existentiellen Sorgen leiden, weitgehend aus seinem Film verbannt. Stattdessen erzählt er auf helle, fröhliche und süße Weise die Liebesgeschichte von zwei jungen Männern. Es ist beeindruckend, wie in dem Film die Lebensstile, mit denen sich die Menschen in den 2020er Jahren identifizieren, dramatisch verdichtet sind. Der Auftritt von Schauspielerin LEE Jeongeun, die für ihre Rolle in „Parasite" (,기생충') berühmt ist, verleiht dem Film zusätzlichen Charme.
Us, Day by Day 우리는 매일매일 (2021)
20.-29. Sept.
Regie: KANGYU Garam/ Protagonist*innen: HEO Eunju, KIMI Seunghyeon, YU Yeowon/ Dokumentarfilm/ 75min/ OmeU
Den Grundstein für Koreas Frauenbewegung legten einige ältere Schwestern, die so genannten „young feminists", die Ende der 1990er Jahre bis Anfang der 2000er Jahre rund um koreanische Universitätsviertel die Frauenbewegung verbreiteten. Die Regisseurin sucht ihre alten Weggefährtinnen auf, die damals gemeinsam mit ihr den Feminismus ausgerufen haben und nun mittleren Alters sind, und beschwört „diese Zeit und dieses Zeitalter" herauf. Die Dokumentation, die von der Frage ausgeht, wie es ist, in Korea Feministin zu sein, präsentiert große Momente der koreanischen Frauenbewegung. Das Werk sticht besonders durch seinen Wert als Zeitzeugnis hervor.
Time To Read Poems 시 읽는 시간 (2021)
21.-30. Sept.
Regie: LEE Soojung/ Protagonist*innen: OH Hana, KIM Sudeok, AHN Taehyung/ Dokumentarfilm/ 74min/ OmeU
In diesem Dokumentarfilm kommen im Rahmen von Interviews fünf Menschen zu Wort, die Diskriminierung, Hass, Burnout, Schuldgefühle und Angst spüren: eine junge Frau, die ihren Verlag aufgibt, ein gefeuerter Arbeiter, ein Mann mit Angststörung, ein Illustrator, der sich in die Welt der Spiele flüchtet, und eine Künstlerin, die in ihrer Kunst die Diskriminierung von Frauen thematisiert. In welcher Form sie in ihrem Leben mit Gedichten in Berührung kommen und welchen Einfluss die Gedichte auf sie haben, wird im Film durch die Zeit des Lesens umfassend beleuchtet. Der Film erhielt bei vielen Filmfestivals eine sehr positive Resonanz, unter anderem beim BIFF International Film Festival und beim Monaco International Film Festival.
Sister J. 재춘언니 (2020)
21.-30. Sept.
Regie: LEE Soojung/ Protagonist: LIM Jaechun/ Dokumentarfilm/ 97min / OmeU
Dies ist ein weiterer Dokumentarfilm von Regisseurin LEE Soojung, in dem sie den von der Firma Cort Cortek entlassenen Arbeiter LIM Jaechun, der auch in „Time To Read Poems" auftaucht, als Einzelperson vorstellt. LIM Jaechun, der 30 Jahre lang in einer Gitarrenfabrik gearbeitet hat und unerwartet gefeuert wird, geht auf die Straße und startet ein Protestlager. Zur Zeit des Filmdrehs ist er bereits 13 Jahre dort. Die Zeiten des extrem harten Kampfes des Arbeiters, der für einen Moment seines Lebens in ein tiefes Loch gefallen ist, und sein ungebrochener Lebenswille durchdringen die Schwarz-Weiß-Bilder auf der Leinwand. Der Film wurde 2020 beim Busan International Film Festival mit dem BIFF Mecenat Award und beim 46. Seoul Independent Film Festival mit dem Sonderpreis ausgezeichnet.
Our Mother 우리 어머니 (2017)
21.-30. Sept.
Regie: SONG Su-Jin / Dokumentarfilm/ 58min/ Deutsch mit koreanischen Untertiteln
In den 1960er und 1970er Jahren sind viele junge Menschen aus Korea nach Deutschland gegangen. Sie haben als Bergarbeiter Kohle gefördert oder als Krankenschwestern Patienten versorgt. Während einige von ihnen in die Heimat zurückgekehrt sind, blieb der Großteil in Deutschland, um sich eine Existenz aufzubauen. Wie empfinden wohl die Kinder dieser Generation das Leben in Deutschland? „Our Mother" ist ein Dokumentarfilm über die Geschichte der Nachkommen dieser „Mütter". Obwohl ihnen die deutsche Sprache geläufiger als die koreanische ist, tragen sie doch in ihrem Herzen ihre koreanische Identität bei sich.